BAG, Urteil v. 15.12.2022- AZ: 2 AZR 162/22 Eingeordnet unter Arbeitsschutz, Kündigung.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit jüngerer Entscheidung (Urt. v. 15.12.2022 – 2 AZR 162/22) nochmals die Relevanz des betrieblichen Eingliederungsmanagement (beM) bei Kündigungen hervorgehoben.
Gesetzlich geregelt ist: Ist ein(e) Arbeitnehmer:in innerhalb von zwölf Monaten länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig erkrankt, hat der Arbeitgeber zu klären, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden bzw. mit welchen Leistungen und Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt werden kann, sodass der Arbeitsplatz auch künftig erhalten bleibt. Dieser Klärungs- oder Suchprozess ist das sogenannte betriebliche Eingliederungsmanagement (beM).
Weder nach dem Gesetz, noch nach der Rechtsprechung ist jedoch ein betriebliches Eingliederungsmanagement zwingende Voraussetzung für eine personenbedingte Kündigung. Nichtsdestotrotz kommt diesem Mechanismus eine hohe Relevanz zu, insbesondere wenn dieses nicht oder nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurde.
So entschied das BAG jüngst (Urt. v. 15.12.2022 – 2 AZR 162/22), dass ein beM nicht durch die Zustimmung des Inklusionsamts zur Kündigung eines schwerbehinderten Menschen ersetzt werden kann. Ferner kann sich ein Arbeitgeber nicht darauf berufen, das beM nur deswegen nicht durchgeführt zu haben, weil die/der Beschäftigte eine mitübersandte Datenschutzerklärung im Vorfeld nicht unterzeichnete.
Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Beschäftigte ist seit dem Jahre 1999 bei ihrem Arbeitgeber beschäftigt. Hierbei ist sie einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt, sodass der Arbeitgeber vor Ausspruch einer Kündigung zunächst die Zustimmung des zuständigen Inklusionsamtes bedurfte.
Nachdem die Arbeitnehmerin seit dem Jahre 2014 durchgängig arbeitsunfähig erkrankt war, lud der Arbeitgeber sie im Mai 2019 zu einem beM ein. Das beM wurde letztendlich jedoch nicht durchgeführt, da sich der Arbeitgeber darauf berief, dass dieses nur eingeleitet werden kann, wenn die Arbeitnehmerin eine beiliegende Datenschutzerklärung unterzeichnet. Dies tat die Beschäftigte jedoch nicht.
Der Arbeitgeber stellte im Dezember 2019 einen Antrag zum Inklusionsamt auf Zustimmung zum Ausspruch einer ordentlichen Kündigung, welche er letztendlich im Mai 2020 erhielt. Anschließend kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin.
Die folgende Kündigungsschutzklage wurde zunächst vom Arbeitsgericht abgewiesen. Die Berufung der Klägerin zum Landesarbeitsgericht hatte Erfolg. Auch das Bundesarbeitsgericht gab der Klägerin anschließend Recht und wies die Revision des Arbeitgebers ab.
Nach Ansicht des BAG sei der Arbeitgeber seiner Verpflichtung zur Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements nicht nachgekommen. Die Argumentation des Arbeitgebers, dass das beM nur wegen der fehlenden Datenschutzeinwilligung nicht eingeleitet wurde, wiesen die Erfurter Richter zurück. Die schriftliche Zustimmung des Arbeitsnehmers in die Datenverarbeitung seiner personenbezogenen Gesundheitsdaten ist keine tatbestandliche Voraussetzung für die Durchführung eines beM.
Insofern ist es dem Arbeitgeber auch ohne vorherige Datenschutzeinwilligung möglich und zumutbar gewesen, mit dem beabsichtigten beM zu beginnen und mit der Klägerin ein Erstgespräch über den möglichen Verfahrensablauf durchzuführen, so die Erfurter Richter weiter.
Zudem hat das BAG klargestellt, dass insbesondere auch die Zustimmung des Inklusionsamtes zur Kündigung keine Vermutung begründet, dass ein beM eine Kündigung nicht verhindert hätte.
Wir begrüßen diese Entscheidung. Zu oft wird lediglich halbherzig ein Verfahren eingeleitet und schnell als erfolglos abgetan. Auch wenn der Gesetzestext des § 167 Abs. 2 SGB IX lediglich im geringen Umfang Voraussetzungen an ein beM vorgibt, so gilt es insbesondere im Hinblick auf die vielen Urteile des Bundesarbeitsgerichtes umso mehr, dass der Arbeitgeber hierbei teils hohe Hürden zu meistern hat, auch schon bereits bei Übersendung eines Einladungsschreibens.
In der Praxis müssen wir jedoch feststellen, dass die Arbeitgeber ein beM zu oft nur als Vorstufe einer personenbedingten Kündigung ansehen. Arbeitgeber wollen dieses Verfahren nutzen um eine personenbedingte Kündigung auszusprechen, obwohl die Regelung des § 167 Abs. 2 SGB IX eindeutig dem Erhalt des Arbeitsplatzes dient.
Es ist also stets ratsam, sich bereits bei Erhalt der Einladung zum betrieblichen Eingliederungsmanagement anwaltlich beraten zu lassen. Hierbei kann direkt geprüft werden, welche Möglichkeiten für die Beschäftigten bestehen und welche erheblichen Konsequenzen folgen, wenn man ein solches Verfahren ablehnt.
Abschließend soll nochmals gesagt sein: ein betriebliches Eingliederungsmanagement soll dem Erhalt des Arbeitsplatzes dienen, nicht dessen Beendigung!